Resonanz für die Legende (en alemán)

MARLENE WEYERER
10. März 2022

Antonio Morales findet nur, wer ihn sucht.
Keine Aushänge am Schaufenster, kein Schild
markiert den Eingang. Hinter einer ganz normalen
Glastür verbirgt sich seine Werkstatt.
Dort riecht es nach Holz und Pflegemitteln.
Alte Werkzeuge und Holzteile liegen im Raum
verteilt. Morales sieht sich als einfacher Handwerker
und das zeigt er in seinem Reich.
Aber der 65-Jährige hat auch keine Werbung
und keinen luxuriösen Verkaufsraum
nötig. Mehr als genug Leute aus der ganzen
Welt suchen und finden den Weg zu der unscheinbaren
Tür des Gitarrenbauers in Palmas
Stadtviertel Pere Garau. Die Musiker warten
teilweise Jahre, bis sie endlich an die Reihe
kommen. Paul McCartney soll eine seiner Gitarren
besitzen, doch sein wichtigster Kunde
war Paco de Lucía (1947–2014). Die andalusische
Flamenco-Legende mit Mallorca-Zweitwohnsitz
wird derzeit in Palma mit einem
nach ihm benannten Festival geehrt. Dazu gehört
auch eine Ausstellung im Stadtpalast Can
Balaguer mit Fotos der Gitarren, die Paco de
Lucía auf der Insel besessen hat. Viele davon
hat Morales gebaut, der sein Handwerk einst
bei dem nach Mallorca emigrierten US-Amerikaner
George M. Bowden gelernt hatte.
Dass er für und mit dem Weltstar arbeiten
konnte, habe allerdings damit zu tun gehabt,
dass er gelernter Schreiner ist, erzählt Morales.
Paco de Lucía verbrachte die letzten neun
Jahre seines Lebens auf Mallorca. 2005 zog der
Weltstar mit seiner zweiten Frau und ihrer gemeinsamen
Tochter zunächst nach Campos,
2009 dann nach Establiments vor den Toren
Palmas. Dort wollte er, dass ein Schreiner sich
das neue Haus ansah. Ein gemeinsamer
Freund empfahl Antonio Morales. Sie hätten
sich von Anfang an gut verstanden, sagt Morales,
obwohl der Gitarrist gar nicht gewusst hätte,
dass er Gitarrenbauer ist. „Menschen wie
Paco werden von meiner Zunft belagert. Ich
hätte mich gar nicht getraut, ihn anzusprechen“,
so der 65-Jährige, der als Jugendlicher
aus der Extremadura nach Palma kam.
Der gemeinsame Freund habe Paco de Lucía
dann aufgeklärt. „Daraufhin fragte er mich,
ob ich ihm eine Gitarre mitbringen könnte“,
erinnert sich Morales. Dem Musiker gefiel das
Instrument, auch wenn er noch einiges auszusetzen
hatte. „Für mich gibt es ein vor Paco
de Lucía und ein danach in der Art, wie ich
meine Gitarren baue“, sagt Morales. Von da an
arbeiteten sie zusammen, Morales wurde de
Lucías Gitarrenbauer. Und sein Vertrauter.
„Dadurch, dass wir befreundet waren und
viel Zeit zusammen verbrachten, war es auch
leichter, Instrumente für ihn zu bauen“, erzählt
Morales. Manchmal habe ihm Paco de
Lucía Gitarren mitgegeben, die ihm gefielen.
Morales versuchte, deren Vorzüge in die seinen
zu integrieren. Als Instrumentenbauer
müsse er in die Köpfe der Musiker schauen,
versuchen, ihre Vorstellung eines perfekten
Instrumentes zu erfüllen.
Dabei geht es nicht nur um den Klang. Die
Gitarre muss bequem liegen, die Flexibilität
der Saiten muss zu dem Stil des Gitarristen
passen. Die Balance muss stimmen. Das Instrument
muss sich richtig anfühlen. „Manche Sachen
sind fast psychisch, die Gitarristen hören
dann zum Beispiel irgendeinen Nachhall,
den niemand anderes hört“, sagt Morales. Er
versuche zu helfen, wo er kann. Teilweise höre
der Nachhall oder das Scharren, das die
Musiker wahrnehmen, irgendwann von selbst
auf. Gerade hochkarätige Musiker sind häufig
Perfektionisten, wenn es um ihre Instrumente
geht. Paco de Lucía war dafür bekannt.
„Irgendwann haben wir eine neue Gitarre
geplant und ich habe ihm gesagt: Ich weiß
genau, was du willst“, erzählt Morales. „Ich
weiß es doch selbst noch nicht“, habe Paco de
Lucía erwidert. Woraufhin Morales ihm die Eigenschaften
aufzählte, die seine nächste Gitarre
brauchte. „Und da hat Paco gesagt: Du
kennst mich ja wirklich schon verdammt gut“,
lacht Morales. Auch sonst lacht der Mann mit
dem weißen Haarzopf und dem dichten Bart
viel und herzlich, wenn er spricht.
Wenn er seine Arbeit macht, ist er dagegen
ruhig und ernst. Es ist reinstes Handwerk.
Morales berechnet, skizziert, sägt, schmirgelt,
poliert, verziert, lackiert seine Gitarren selbst.
Es braucht Wochen, bis er ein Instrument fertig
hat. Früher produzierte er zehn bis zwölf
im Jahr, jetzt sind es nur noch fünf oder sechs.
Morales ist in Rente, macht nur noch so viel,
wie ihm Spaß macht.
Die Warteliste auf seine Instrumente wird
er wohl nicht mehr abarbeiten, zumal er jetzt
auch Gitarren für sich selbst bauen will. Bisher
hat Morales nur seine allererste Gitarre
behalten. Ihm gefalle jeder Arbeitsschritt seines
Handwerks, sagt er. Außer dem Schluss.
„Am Ende sind die Gitarren nie das, was ich
wollte“, sagt Antonio Morales und lacht
erneut. „Ich denke mir immer: Die nächste
wird noch besser.“ Schon sein Meister George
M. Bowden sei gestorben, bevor er die perfekte
Gitarre bauen konnte. Ihm werde es wohl
genauso gehen.